Testierfreiheit: Ein hohes Gut mit (wenigen) Grenzen – Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht Die Testierfreiheit ist für mich eine der schönsten und zugleich wichtigsten Errungenschaften unseres Erbrechts. Sie bedeutet, dass jeder Erblasser grundsätzlich frei darüber verfügen kann, was nach seinem Tod mit seinem Vermögen geschieht. Diese Freiheit ist Ausdruck von Selbstbestimmung und persönlicher Lebensgestaltung – und sie ist rechtlich ein sehr hohes Gut. Natürlich ist die Testierfreiheit nicht grenzenlos. Sie wird im Wesentlichen durch zwei Dinge beschränkt: Formvorschriften: Ein Testament muss bestimmte formale Anforderungen erfüllen, um wirksam zu sein (§§ 2231 ff. BGB). Gesetzliche Vorgaben: Hierzu zählt vor allem das Pflichtteilsrecht (§§ 2303 ff. BGB), das sicherstellt, dass nahe Angehörige nicht vollkommen leer ausgehen. Darüber hinaus gibt es aber auch gesetzliche Verbote bestimmter erbrechtlicher Regelungen. Ein klassisches Beispiel für eine Grenze der Testierfreiheit war lange Zeit das sogenannte „geliebte Testament“. Damit ist gemeint, dass ein Erblasser etwa seine Geliebte testamentarisch bevorzugt, was früher als sittenwidrig angesehen werden konnte. In der Rechtsprechung wurde dies vor allem dann angenommen, wenn das Testament Ausdruck einer sittenwidrigen Beziehung oder eines besonders anstößigen Verhaltens war (§ 138 BGB). Aus meiner Sicht ist dieses Thema heute weitgehend überholt. Die gesellschaftliche Liberalisierung der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass solche Testamente kaum noch als sittenwidrig eingestuft werden. In den letzten 20 Jahren ist mir persönlich kein einziger Fall begegnet, in dem ein Testament wegen Sittenwidrigkeit im Zusammenhang mit einer Liebesbeziehung für nichtig erklärt wurde. Die Lebensentwürfe sind vielfältiger geworden – und das spiegelt sich auch im Erbrecht wider. Was sich dagegen in den letzten Jahren häuft, sind Fälle, in denen Berater oder Betreuer des Erblassers im Testament bedacht werden. Hier stellt sich die Frage, ob diese Personen ihre besondere Stellung möglicherweise ausnutzen, um sich selbst zu begünstigen. Besonders sensibel ist das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, Anwalt und Mandant oder Betreuer und Betreutem. Im entschiedenen Fall hatte eine Patientin ihren langjährigen Hausarzt testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt. Die Erben der Patientin hielten dies für unzulässig und beriefen sich auf das berufsrechtliche Zuwendungsverbot für Ärzte (§ 14 Abs. 7 Musterberufsordnung-Ärzte). Der BGH (Urteil vom 15.05.2024, IV ZR 93/24) entschied, dass das berufsrechtliche Zuwendungsverbot für Ärzte grundsätzlich keine Auswirkungen auf die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Testaments hat. Das bedeutet: Auch wenn ein Arzt nach der Berufsordnung eine Zuwendung nicht annehmen darf, bleibt das Testament zivilrechtlich wirksam. Die Erben können sich also nicht auf eine Unwirksamkeit des Testaments berufen. Allenfalls kann die Ärztekammer berufsrechtliche Maßnahmen gegen den Arzt ergreifen. Der BGH stellt klar: Das Zuwendungsverbot nach § 14 Abs. 7 MBO-Ärzte ist ein berufsrechtliches Verbot, das keine zivilrechtliche Nichtigkeitsfolge nach sich zieht. Die Testierfreiheit bleibt also auch in solchen Fällen grundsätzlich bestehen. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei einer nachweislichen Ausnutzung einer Willensschwäche des Erblassers oder bei Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB), könnte ein Testament sittenwidrig und damit nichtig sein. Die Testierfreiheit bleibt ein hohes Gut, das nur in wenigen Ausnahmefällen eingeschränkt wird. Die Rechtsprechung des BGH zeigt, dass berufsrechtliche Verbote nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit von Testamenten führen. Dennoch bleibt ein gewisser Schutzmechanismus bestehen: Wird die Willensschwäche des Erblassers ausgenutzt, kann das Testament im Einzelfall sittenwidrig und damit nichtig sein. Für mich bleibt die Testierfreiheit ein Ausdruck von persönlicher Freiheit – und das ist gut so. Die wenigen Grenzen, die das Recht setzt, sind sinnvoll und dienen dem Schutz der Schwächeren, ohne die Selbstbestimmung des Einzelnen unnötig einzuschränken.Die Grenzen der Testierfreiheit
Sittenwidrigkeit und das „Geliebte Testament“
Neue Entwicklungen: Zuwendungen an Berater und Betreuer
Der Fall vor dem BGH
Rechtliche Einordnung
Fazit

Testierfreiheit: Ein hohes Gut mit (wenigen) Grenzen – Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht
Testierfreiheit: Ein hohes Gut mit (wenigen) Grenzen – Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht was last modified: August 8th, 2025 by