Mitbetreuung senkt Kindesunterhalt – Neues Urteil bringt Bewegung ins Unterhaltsrecht

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat mit Urteil vom 04.04.2025 (Az. 1 UF 136/24) eine weitreichende Entscheidung im Bereich des Kindesunterhalts getroffen.

Demnach kann eine umfangreiche Mitbetreuung durch den barunterhaltspflichtigen Elternteil zu einer spürbaren Reduzierung des Unterhalts führen.

Im entschiedenen Fall betreute der Vater seine drei Kinder an rund 35 % der Tage im Jahr – konkret 127 Tage (ohne Ferien). Das Gericht wertete diese Betreuung als deutlich mehr als üblichen Umgang und stufte den Kindesunterhalt um gleich drei Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle herab. Das bedeutete für den Vater eine monatliche Entlastung von rund 150 Euro pro Kind.

Wie wird der Kindesunterhalt bestimmt?

Nach einer Trennung richtet sich der Kindesunterhalt nach dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils und dem Betreuungsanteil (§ 1601 BGB, § 1612 BGB). Traditionell galt: Wer betreut, zahlt nicht – wer nicht betreut, zahlt.

Doch die Betreuungsrealität ist vielfältiger geworden. Viele getrenntlebende Eltern teilen sich heute die Verantwortung deutlich ausgewogener – ohne ein vollständig gleichberechtigtes sogenanntes „Wechselmodell“ zu praktizieren.

Gerade in diesen Fällen hat sich in den letzten Jahren ein Spannungsfeld zwischen gesetzlicher Regelung und gelebtem Alltag aufgetan.

Betreuungsmodelle im Überblick

  • Residenzmodell: Das Kind lebt überwiegend bei einem Elternteil (in der Regel über 70 % der Zeit). Der andere Elternteil zahlt den vollen Barunterhalt gemäß Düsseldorfer Tabelle.
  • Erweiterte Betreuung: Beträgt die Betreuung durch den barunterhaltspflichtigen Elternteil etwa 30 bis 40 %, sprach der Bundesgerichtshof in einem älteren Urteil (BGH, Urteil vom 28.02.2007, Az. XII ZB 234/13) noch dem Barunterhalt keine Kürzung zu.
  • Asymmetrisches Wechselmodell: Liegt die Betreuung bei 40–49 %, kann seit der Unterhaltsrechtsreform 2024 eine pauschale Reduzierung des Barbedarfs um 15 %
  • Paritätisches Wechselmodell: Bei annähernd 50:50-Betreuung schulden beide Eltern anteiligen Barunterhalt entsprechend ihrer Einkommensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB).

Wann liegt eine erhebliche Mitbetreuung vor?

Eine zentrale Frage ist, ab wann eine bloße Umgangsregelung in eine „erhebliche Mitbetreuung“ übergeht. Die Gerichte orientieren sich dabei unter anderem an:

  • der Anzahl der Übernachtungen beim betreuenden Elternteil,
  • der alltäglichen Betreuung (z. B. Schulbesuche, Arztgänge, Hausaufgabenbetreuung),
  • und dem zeitlichen Gesamtanteil über das Jahr gerechnet.

Im entschiedenen Fall des OLG Braunschweig ergab die Berechnung: 127 Betreuungstage im Jahr, also rund 35 %. Diese Schwelle erkannte das Gericht als ausreichend an, um den Barunterhalt zu mindern – vorausgesetzt, die Betreuung ist verlässlich, kontinuierlich und substanzhaltig (§ 1612 Abs. 1 BGB).

Worauf Eltern achten sollten

Das Urteil ist ein deutlicher Fingerzeig für alle getrenntlebenden Eltern: Wer regelmäßig und substanziell betreut, kann eine Anpassung des Kindesunterhalts verlangen. Dafür empfiehlt sich:

  • eine sorgfältige Dokumentation der Betreuung (z. B. Kalenderaufzeichnungen, Kommunikation mit Schulen, Arzttermine),
  • gegebenenfalls Zeugenaussagen oder Bestätigungen Dritter,
  • eine schriftliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell.

Gerade wenn sich die Betreuungsverhältnisse im Laufe der Zeit ändern, sollte zügig ein neuer Unterhaltsbetrag geltend gemacht oder gerichtlich überprüft werden. Denn: Solange keine Anpassung beantragt ist, gilt der bisherige Unterhalt weiter.

Fazit

Mit dem Urteil vom 04.04.2025 (OLG Braunschweig, Az. 1 UF 136/24) wird ein neues Kapitel in der Rechtsprechung zum Kindesunterhalt aufgeschlagen.

Der Trend geht dahin, Betreuungsleistungen stärker zu honorieren – auch finanziell.

Die genaue Grenze, ab wann ein Unterhalt gekürzt werden kann, ist zwar noch nicht gesetzlich fixiert, aber: Wer mindestens ein Drittel der Betreuung übernimmt, hat nun deutlich bessere Chancen, eine Herabstufung durchzusetzen.

Mitbetreuung senkt Kindesunterhalt – Neues Urteil bringt Bewegung ins Unterhaltsrecht was last modified: Juni 5th, 2025 by Ralf Römling

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