Jahresarchiv: 2025

Mitbetreuung senkt Kindesunterhalt – Neues Urteil bringt Bewegung ins Unterhaltsrecht

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat mit Urteil vom 04.04.2025 (Az. 1 UF 136/24) eine weitreichende Entscheidung im Bereich des Kindesunterhalts getroffen.

Demnach kann eine umfangreiche Mitbetreuung durch den barunterhaltspflichtigen Elternteil zu einer spürbaren Reduzierung des Unterhalts führen.

Im entschiedenen Fall betreute der Vater seine drei Kinder an rund 35 % der Tage im Jahr – konkret 127 Tage (ohne Ferien). Das Gericht wertete diese Betreuung als deutlich mehr als üblichen Umgang und stufte den Kindesunterhalt um gleich drei Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle herab. Das bedeutete für den Vater eine monatliche Entlastung von rund 150 Euro pro Kind.

Wie wird der Kindesunterhalt bestimmt?

Nach einer Trennung richtet sich der Kindesunterhalt nach dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils und dem Betreuungsanteil (§ 1601 BGB, § 1612 BGB). Traditionell galt: Wer betreut, zahlt nicht – wer nicht betreut, zahlt.

Doch die Betreuungsrealität ist vielfältiger geworden. Viele getrenntlebende Eltern teilen sich heute die Verantwortung deutlich ausgewogener – ohne ein vollständig gleichberechtigtes sogenanntes „Wechselmodell“ zu praktizieren.

Gerade in diesen Fällen hat sich in den letzten Jahren ein Spannungsfeld zwischen gesetzlicher Regelung und gelebtem Alltag aufgetan.

Betreuungsmodelle im Überblick

  • Residenzmodell: Das Kind lebt überwiegend bei einem Elternteil (in der Regel über 70 % der Zeit). Der andere Elternteil zahlt den vollen Barunterhalt gemäß Düsseldorfer Tabelle.
  • Erweiterte Betreuung: Beträgt die Betreuung durch den barunterhaltspflichtigen Elternteil etwa 30 bis 40 %, sprach der Bundesgerichtshof in einem älteren Urteil (BGH, Urteil vom 28.02.2007, Az. XII ZB 234/13) noch dem Barunterhalt keine Kürzung zu.
  • Asymmetrisches Wechselmodell: Liegt die Betreuung bei 40–49 %, kann seit der Unterhaltsrechtsreform 2024 eine pauschale Reduzierung des Barbedarfs um 15 %
  • Paritätisches Wechselmodell: Bei annähernd 50:50-Betreuung schulden beide Eltern anteiligen Barunterhalt entsprechend ihrer Einkommensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB).

Wann liegt eine erhebliche Mitbetreuung vor?

Eine zentrale Frage ist, ab wann eine bloße Umgangsregelung in eine „erhebliche Mitbetreuung“ übergeht. Die Gerichte orientieren sich dabei unter anderem an:

  • der Anzahl der Übernachtungen beim betreuenden Elternteil,
  • der alltäglichen Betreuung (z. B. Schulbesuche, Arztgänge, Hausaufgabenbetreuung),
  • und dem zeitlichen Gesamtanteil über das Jahr gerechnet.

Im entschiedenen Fall des OLG Braunschweig ergab die Berechnung: 127 Betreuungstage im Jahr, also rund 35 %. Diese Schwelle erkannte das Gericht als ausreichend an, um den Barunterhalt zu mindern – vorausgesetzt, die Betreuung ist verlässlich, kontinuierlich und substanzhaltig (§ 1612 Abs. 1 BGB).

Worauf Eltern achten sollten

Das Urteil ist ein deutlicher Fingerzeig für alle getrenntlebenden Eltern: Wer regelmäßig und substanziell betreut, kann eine Anpassung des Kindesunterhalts verlangen. Dafür empfiehlt sich:

  • eine sorgfältige Dokumentation der Betreuung (z. B. Kalenderaufzeichnungen, Kommunikation mit Schulen, Arzttermine),
  • gegebenenfalls Zeugenaussagen oder Bestätigungen Dritter,
  • eine schriftliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell.

Gerade wenn sich die Betreuungsverhältnisse im Laufe der Zeit ändern, sollte zügig ein neuer Unterhaltsbetrag geltend gemacht oder gerichtlich überprüft werden. Denn: Solange keine Anpassung beantragt ist, gilt der bisherige Unterhalt weiter.

Fazit

Mit dem Urteil vom 04.04.2025 (OLG Braunschweig, Az. 1 UF 136/24) wird ein neues Kapitel in der Rechtsprechung zum Kindesunterhalt aufgeschlagen.

Der Trend geht dahin, Betreuungsleistungen stärker zu honorieren – auch finanziell.

Die genaue Grenze, ab wann ein Unterhalt gekürzt werden kann, ist zwar noch nicht gesetzlich fixiert, aber: Wer mindestens ein Drittel der Betreuung übernimmt, hat nun deutlich bessere Chancen, eine Herabstufung durchzusetzen.

Trennung, Wohnraum und Eigenbedarf – Ein aktuelles Urteil des OLG Celle

Die Trennung von Ehepartnern oder Lebensgemeinschaften bringt nicht nur emotionale Belastungen mit sich, sondern stellt die Beteiligten oft auch vor erhebliche praktische Probleme.

Eines der drängendsten Themen ist dabei regelmäßig die Wohnsituation: Wer bleibt, wer muss gehen? Und was passiert, wenn die Wohnung gar nicht dem Paar selbst gehört, sondern – wie im aktuellen Fall des OLG Celle – der Schwiegermutter?

Die Ausgangslage: Wohnraum nach der Trennung – ein typisches Problem

Nach einer Trennung muss die Wohnsituation meist neu geregelt werden.

Häufig ist Wohnraum knapp und teuer, sodass es nicht selten zu Streitigkeiten über die Nutzung der bisherigen Ehewohnung kommt.

Das Gesetz hält hierfür in § 1361b BGB (bei Ehegatten) bzw. § 1568a BGB (nach Scheidung) Regelungen bereit, die eine vorübergehende oder dauerhafte Zuweisung der Wohnung an einen Ehegatten ermöglichen, wenn dies „unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten sowie der Kinder der Ehe und der Lebensverhältnisse beider Ehegatten der Billigkeit entspricht“.

Doch manchmal ist das Problem ganz anders gelagert, wie der folgende Fall zeigt.

Der Fall vor dem OLG Celle (Urteil vom 03.04.2024 – 21 UF 237/24)

Im vom OLG Celle entschiedenen Fall lebte das getrennte Ehepaar in einer Wohnung, die der Mutter der Ehefrau gehörte.

Nach der Trennung wollte die Schwiegermutter Eigenbedarf geltend machen und verlangte, dass der Ehemann auszieht.

Der Ehemann berief sich jedoch auf sein Recht zum Verbleib in der Wohnung nach § 1361b BGB und argumentierte, dass er die Wohnung weiterhin dringend benötige.

Das Gericht musste somit entscheiden, wie das Spannungsverhältnis zwischen dem Besitzrecht des Schwiegersohns (bzw. des getrennt lebenden Ehegatten) und dem Eigentumsrecht der Schwiegermutter zu lösen ist.

Die Entscheidung des OLG Celle

Das OLG Celle entschied mit Urteil vom 03.04.2024 (Az. 21 UF 237/24), dass der Schwiegermutter ein berechtigtes Interesse an der Rückgabe der Wohnung zusteht.

Das Gericht stellte klar, dass das Besitzrecht des getrennt lebenden Ehegatten an der Wohnung (§ 1361b BGB) nicht weiter reicht als das Nutzungsrecht, das sich aus dem Mietvertrag oder einem sonstigen Rechtsverhältnis ergibt. Ist das Mietverhältnis – wie hier – durch Eigenbedarfskündigung der Schwiegermutter beendet worden, kann auch kein Besitzrecht mehr aus § 1361b BGB hergeleitet werden.

Wörtlich heißt es im Urteil des OLG Celle (Urteil vom 03.04.2024 – 21 UF 237/24):

Das Recht eines Ehegatten, die Ehewohnung nach § 1361b BGB zu nutzen, besteht nur solange, wie ein entsprechendes Besitzrecht – etwa aus einem Mietverhältnis – besteht. Wird dieses durch eine berechtigte Eigenbedarfskündigung des Vermieters beendet, endet auch das Recht zur Nutzung der Wohnung.

Gesetzliche Grundlagen und praktische Bedeutung

Das Urteil verdeutlicht, dass § 1361b BGB zwar einen gewissen Schutz für den getrennt lebenden Ehegatten bietet, dieser Schutz aber nicht grenzenlos ist.

Besteht kein eigenes Mietverhältnis mit dem Ehegatten, sondern ist die Wohnung etwa von der Schwiegermutter nur zur Nutzung überlassen, kann der Eigentümer – hier die Schwiegermutter – durch eine berechtigte Eigenbedarfskündigung die Herausgabe der Wohnung verlangen (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Gerade in der Praxis zeigt sich, dass nach einer Trennung oft nicht nur emotionale, sondern auch rechtliche und finanzielle Hürden bei der Wohnraumsuche bestehen. Das Urteil des OLG Celle macht deutlich, dass auch familiäre Sonderkonstellationen – wie die Nutzung der Schwiegerelternwohnung – keine dauerhafte Sicherheit bieten.

Fazit

Der Fall des OLG Celle (Urteil vom 03.04.2024 – 21 UF 237/24) zeigt exemplarisch, dass nach einer Trennung nicht nur die Frage „Wer darf bleiben?“ relevant ist, sondern auch „Wem gehört die Wohnung eigentlich?“ und „Wie lange darf ich bleiben?“.

Gerade wenn die Wohnung von Dritten – etwa Schwiegereltern – stammt, kann eine Eigenbedarfskündigung schnell das Ende des Wohnrechts bedeuten.

Tipp: Wer sich in einer solchen Situation befindet, sollte frühzeitig anwaltlichen Rat einholen, um die eigenen Rechte und Möglichkeiten zu kennen und zu wahren.

Quellen:

Schule – und dann weiter? Freiwilliger Wehrdienst, Berufsfindung und die Kindergeldfalle

Die Schulzeit ist vorbei – und was nun? Immer mehr Jugendliche stehen nach dem Abitur oder dem mittleren Schulabschluss vor der großen Frage: Wie geht es weiter? Die Möglichkeiten sind vielfältig: Ob Bundesfreiwilligendienst, ein „Work & Travel“-Jahr, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder eben der freiwillige Wehrdienst – all diese Wege können helfen, sich zu orientieren und die richtige Entscheidung für die eigene Zukunft zu treffen.

Doch was viele nicht wissen: Nicht jede dieser Optionen ist rechtlich und finanziell problemlos. Insbesondere beim Thema Kindergeld gibt es Fallstricke, wie ein aktuelles Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 07.12.2023, III R 43/22) zeigt.

Der Fall: Freiwilliger Wehrdienst und der Anspruch auf Kindergeld

Im entschiedenen Fall hatte ein junger Mann nach dem Abitur zunächst den freiwilligen Wehrdienst absolviert, um sich zu orientieren. Die Eltern gingen davon aus, dass sie während dieser Zeit weiterhin Anspruch auf Kindergeld hätten. Doch das Finanzamt sah das anders – und der Fall landete schließlich vor dem BFH.

Der BFH entschied:
Der freiwillige Wehrdienst (§ 58b Soldatengesetz) zählt nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG.
Das bedeutet:

  • Während des freiwilligen Wehrdienstes besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Kindergeld, es sei denn, das Kind befindet sich gleichzeitig in einer anerkannten Ausbildung oder einem Studium.
  • Erst nach Abschluss des Wehrdienstes lebt der Kindergeldanspruch wieder auf, wenn das Kind sich dann in Ausbildung oder Studium befindet.

Urteil:
BFH, Urteil vom 07.12.2023, III R 43/22

Was heißt das für die Praxis?

Viele Jugendliche und Eltern sind überrascht, wenn plötzlich das Kindergeld ausbleibt – und das kann schnell zu finanziellen Engpässen führen. Gerade in einer ohnehin unsicheren Orientierungsphase ist das eine zusätzliche Belastung.

Weitere Alternativen:

  • Beim Bundesfreiwilligendienst oder einem Freiwilligen Sozialen Jahr bleibt der Kindergeldanspruch dagegen in der Regel bestehen (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2d EStG).
  • Auch ein Überbrückungszeitraum von maximal vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten ist unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG).

Fazit: Frühzeitig informieren, rechtliche und wirtschaftliche Folgen bedenken

Mein Rat als Anwalt: Bevor man den nächsten Schritt nach der Schule macht, sollte man sich genau informieren, welche rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen die jeweilige Entscheidung hat. Gerade beim Kindergeld kann eine unbedachte Wahl schnell zu Nachteilen führen, die sich im Nachhinein nicht mehr korrigieren lassen.

Tipp: Holen Sie sich rechtzeitig qualifizierten Rat – sei es beim Steuerberater, Anwalt oder direkt bei der Familienkasse. So lassen sich böse Überraschungen vermeiden und der Start ins Erwachsenenleben gelingt entspannter.

Denken Sie daran: Nicht jeder Weg nach der Schule ist auch finanziell ein Selbstläufer!

Namenswahl: Alles neu macht der Mai

Mit dem Inkrafttreten des neuen Namensrechts im Mai 2025 ergeben sich für Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zahlreiche neue Möglichkeiten bei der Namensgebung.

Das reformierte Namensrecht bringt mehr Flexibilität, Individualität und Mitbestimmung – sowohl für Ehepaare als auch für Eltern und Kinder.

Was ist neu im Namensrecht?

  1. Mehr Freiheit bei der Namenswahl für Ehepaare:
  • Ehepartner können künftig nicht nur einen gemeinsamen Ehenamen bestimmen, sondern auch beide ihren bisherigen Namen behalten.
  • Es ist möglich, einen Doppelnamen zu führen – und zwar für beide Ehepartner.
  • Auch die Reihenfolge der Namensbestandteile im Doppelnamen kann frei gewählt werden.
  1. Namensgebung für Kinder:
  • Eltern können ihren Kindern künftig einen Doppelnamen geben, der aus den Nachnamen beider Elternteile besteht – unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht.
  • Die Reihenfolge der Namensbestandteile ist frei wählbar.
  • Bei weiteren Kindern kann derselbe Doppelname oder der Name eines Elternteils vergeben werden.
  1. Nachträgliche Namensänderungen:
  • Auch nach einer Trennung oder Scheidung können Ehepartner ihren Namen wieder ändern – etwa den Geburtsnamen wieder annehmen oder einen Doppelnamen ablegen.
  • Für Kinder ist eine Namensänderung leichter möglich, etwa bei Adoption, Stiefkindadoption oder wenn sich die Familienkonstellation ändert.

Wie setzt man die Namensänderung praktisch um?

  1. Antrag beim Standesamt:
  • Zuständig ist grundsätzlich das Standesamt am Wohnsitz oder das Standesamt, das die Geburt oder Eheschließung beurkundet hat.
  • Der Antrag kann persönlich, schriftlich oder teilweise auch online gestellt werden.
  • Benötigte Unterlagen: Personalausweis/Reisepass, Geburtsurkunde, ggf. Eheurkunde, Nachweise über Sorgerecht, ggf. Nachweise über Scheidung oder Adoption.
  1. Beteiligung weiterer Personen:
  • Bei Ehenamen oder Doppelnamen müssen beide Ehepartner zustimmen.
  • Bei Kindern müssen alle sorgeberechtigten Elternteile zustimmen.
  • Ist ein Elternteil nicht einverstanden, kann das Familiengericht angerufen werden (§ 1617 BGB n.F.).
  1. Gerichtliche Klärung:
  • Kommt es zum Streit (z.B. ein Elternteil verweigert die Zustimmung), entscheidet das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils.
  • Das Gericht prüft das Kindeswohl und trifft eine Entscheidung.

Fazit

Das neue Namensrecht ab Mai 2025 eröffnet zahlreiche neue Möglichkeiten für individuelle Namensgestaltung – sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Wer eine Namensänderung wünscht, sollte sich frühzeitig beim zuständigen Standesamt informieren und ggf. rechtzeitig die Zustimmung aller Beteiligten einholen. Im Streitfall hilft das Familiengericht weiter.

Tipp: Viele Standesämter bieten bereits jetzt Beratung und Informationen zu den neuen Regelungen an. Wer eine Namensänderung plant, sollte sich dort frühzeitig beraten lassen.

Unterhaltsanspruch nach Umzug nach Polen: Was gilt bei widerrechtlicher Mitnahme des Kindes?

Elternkonflikte rund um den Umzug von Kindern nach Polen und die daraus resultierenden Unterhaltsforderungen sind in Hamburg-Bergedorf ein häufiges Thema.

Die Nähe zu Polen und eine starke polnische Community führen regelmäßig zu Fällen, in denen ein Elternteil mit dem Kind nach Polen zieht – oft ohne Absprache mit dem anderen Elternteil.

Doch kann in solchen Fällen überhaupt Unterhalt verlangt werden? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat hierzu jüngst eine grundlegende Entscheidung getroffen.

Typischer Fall in der Praxis: Umzug nach Polen und Unterhaltsforderung

Gerade in Hamburg-Bergedorf, wo viele Familien persönliche oder familiäre Verbindungen nach Polen haben, kommt es immer wieder vor, dass ein Elternteil – häufig die Mutter – mit dem Kind nach Polen umzieht und anschließend Unterhalt vom in Deutschland verbliebenen Elternteil fordert.

Die Frage, wie der Unterhalt angesichts der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten berechnet wird, ist dabei ein eigenes Kapitel.

Heute soll es jedoch um die grundsätzliche Frage gehen: Kann Unterhalt auch dann verlangt werden, wenn der Umzug nach Polen ohne Zustimmung des anderen Elternteils erfolgt ist?

EuGH: Gewöhnlicher Aufenthalt trotz widerrechtlicher Mitnahme

Der EuGH hat in einem aktuellen Urteil (C-644/20) klargestellt, dass für die Frage, nach welchem Recht sich der Unterhaltsanspruch richtet, grundsätzlich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes entscheidend ist.

Der gewöhnliche Aufenthalt ist dort, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat – also wo es lebt, zur Schule geht, Freunde hat und in das soziale Umfeld eingebunden ist. Dies gilt auch dann, wenn das Kind widerrechtlich – also ohne Zustimmung des anderen Elternteils – in einen anderen EU-Mitgliedstaat verbracht wurde.

„Wird der Berechtigte widerrechtlich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zurückgehalten, kann sich grundsätzlich ungeachtet dessen sein gewöhnlicher Aufenthaltsort in diesen Staat verlagert haben.“

Das bedeutet: Selbst wenn ein Gericht die Rückführung des Kindes anordnet, bleibt es möglich, dass das Kind in Polen einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat. Das Kindeswohl steht im Mittelpunkt – und dazu gehört, dass das Kind im Umfeld, in dem es lebt, auch über ausreichende finanzielle Mittel verfügt.

Was heißt das für betroffene Eltern in Hamburg-Bergedorf?

  • Auch wenn der Umzug nach Polen ohne Zustimmung des anderen Elternteils erfolgt ist, kann der in Polen betreuende Elternteil für das Kind Unterhalt verlangen.
  • Entscheidend ist, ob das Kind in Polen tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat – also ob der Aufenthalt dort von einer gewissen Stabilität geprägt ist.
  • Das zuständige Gericht prüft im Einzelfall alle Umstände, insbesondere das familiäre und soziale Umfeld des Kindes sowie das Kindeswohl.

Fazit

In der anwaltlichen Praxis in Hamburg-Bergedorf zeigt sich: Die Frage nach dem gewöhnlichen Aufenthalt ist zentral für Unterhaltsforderungen nach einem Umzug nach Polen.

Auch eine widerrechtliche Mitnahme des Kindes schließt den Unterhaltsanspruch nicht grundsätzlich aus. Wer sich in einer solchen Situation befindet – sei es als unterhaltspflichtiger oder unterhaltsberechtigter Elternteil – sollte sich frühzeitig beraten lassen, um die eigenen Rechte und Pflichten zu kennen und die Weichen für das Kindeswohl richtigzustellen.

Sie haben Fragen zu grenzüberschreitendem Unterhalt, insbesondere im Zusammenhang mit Polen? Sprechen Sie uns an – wir beraten Sie kompetent und praxisnah!

Immobilien im Scheidungsfall: Wenn Mängel den Wert mindern

Im Rahmen meiner Tätigkeit im Familienrecht spielen Immobilien immer wieder eine wichtige Rolle.

Oft geht es um die interne Bewertung, wenn ein Ehepartner den anderen auszahlen möchte, oder um den Zugewinnausgleich, wenn ein Ehepartner Alleineigentümer ist.

Über den richtigen Wert einer Immobilie lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Spätestens in einem gerichtlichen Verfahren wird in der Regel ein Gutachter bestellt, um den Verkehrswert zu ermitteln.

Bei der Frage, wie die Begutachtung zu einem richtigen Ergebnis kommt, wird jedoch eine Facette häufig nicht beachtet: Welche Mängel an dem Objekt müssen einem Käufer offenbart werden und wie ist dies dann zu bewerten? Dass Mängel bei einem Immobilienverkauf dem Käufer zu benennen sind, zeigt sich beispielhaft an einem Urteil des OLG Zweibrücken (Urteil vom 27.09.2024 – 7 U 45/23).

Der Fall

Ein Ehepaar hatte sein Wohnhaus verkauft, nachdem es zuvor etwa zehn Jahre selbst darin gewohnt hatte.

Verschwiegen wurde jedoch, dass vor einigen Jahren das Wohnzimmer vergrößert und dazu durch eine ausländische Firma tragende Wände im ersten Obergeschoss entfernt wurden.

Die Decke wurde seither nur noch durch zwei Eisenträger gestützt, die direkt auf dem Mauerwerk auflagen und zusätzlich durch provisorische Baustützen gesichert waren.

Die Trägerkonstruktion war verblendet und nicht mehr ohne Weiteres sichtbar. Ein statischer Nachweis wurde nicht erbracht.

Nach dem Kauf beauftragten die neuen Eigentümer einen Statiker, der feststellte, dass die Trägerkonstruktion unzulässig und nicht dauerhaft tragfähig war.

Daraufhin fochten die Käufer den Kaufvertrag an und verklagten die Verkäufer auf Rückabwicklung.

Das Urteil

Das OLG Zweibrücken verurteilte die Verkäufer zur Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückübereignung des Hausgrundstücks.

Die Verkäufer hätten ungefragt darüber informieren müssen, dass tragende Wände entfernt wurden und in die Statik eingegriffen wurde, sowie dass kein Nachweis über die statische Tragfähigkeit vorlag.

Auch die Durchführung der Arbeiten durch eine unbekannte ausländische Firma ohne Vorliegen von Unterlagen hätte offengelegt werden müssen.

Die Richter betonten, dass die Statik eines Wohnhauses im Hinblick auf Gefahren für die Gebäudesubstanz und die Bewohner von wesentlichem Interesse sei und Veränderungen ungefragt zu offenbaren seien.

Folgen für den Zugewinnausgleich und andere familienrechtliche Auseinandersetzungen

Dieses Urteil hat auch Auswirkungen auf die Berechnung des Zugewinnausgleichs oder die interne Bewertung einer Immobilie im Rahmen einer Scheidung.

Wenn Mängel an einer Immobilie bestehen, die den Wert mindern, müssen diese bei der Bewertung berücksichtigt werden. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Auseinandersetzung zwischen den Ehepartnern haben.

Es ist daher ratsam, im Falle einer Scheidung oder Trennung, bei der Immobilien eine Rolle spielen, alle relevanten Informationen über mögliche Mängel oder wertmindernde Faktoren an Ihrem Objekt Ihrem Anwalt mitzuteilen.

Nur so kann sichergestellt werden, dass diese Aspekte bei der Bewertung der Immobilie und der Berechnung des Zugewinnausgleichs angemessen berücksichtigt werden.

Andernfalls drohen finanzielle Nachteile. Sprechen Sie uns an – wir beraten Sie gerne!

Ungewollte Schwangerschaft nach OnlyFans-Aktion: Rechtliche Folgen in Deutschland

Anfang des Jahres las ich unabhängig voneinander von zwei OnlyFans-Models, Bonnie Blue und Lily Phillips, die an einem einzigen Tag mit einer beeindruckenden Anzahl von Männern schlafen wollten – Bonnie Blue mit über 100 und Lily Phillips angeblich mit über 1000 (auch wenn letztere Zahl rechnerisch kaum vorstellbar erscheint).

Später wurde berichtet, dass beide Frauen nach diesen Aktionen schwanger geworden sein sollen.

Dieser Umstand warf bei mir die Frage auf, welche rechtlichen Konsequenzen ein solcher Fall nach deutschem Recht hätte.

Die Rechtslage in Deutschland

Nehmen wir an, ein ähnliches Szenario würde sich in Deutschland abspielen.

Die Teilnahme an einer solchen Aktion würde nicht automatisch bedeuten, dass die Frauen auf das Recht verzichten, den Vater des Kindes zu benennen und Unterhaltsansprüche geltend zu machen.

Die Rechte des Kindes können nicht im Vorhinein ausgeschlossen werden.

Vaterschaftsfeststellung und DNA-Tests

In Deutschland hat jedes Kind das Recht, seine Abstammung zu kennen.

Daher besteht die Möglichkeit einer Vaterschaftsfeststellungsklage.

Im Rahmen dieser Klage kann ein DNA-Test angeordnet werden, um die Vaterschaft zu klären. Die Kosten für den Test trägt zunächst der Staat.

Stellt sich heraus, dass der Mann nicht der Vater ist, muss er keine weiteren Kosten tragen. Wird die Vaterschaft jedoch festgestellt, muss der Mann die Kosten seines Verfahrens tragen und ist anschließend zum Kindesunterhalt verpflichtet.

Unterhaltsansprüche der Mutter

Nach § 1615l BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) kommen in Deutschland auch Unterhaltsansprüche für die nichteheliche Mutter in Betracht.

Diese Ansprüche sind insbesondere dann relevant, wenn die Mutter aufgrund der Schwangerschaft und der Betreuung des Kindes nicht oder nur eingeschränkt arbeiten kann.

  • Betreuungsunterhalt: Für die Zeit der Schwangerschaft und die ersten drei Lebensjahre des Kindes hat die Mutter in der Regel Anspruch auf Betreuungsunterhalt. Dieser soll ihren Lebensbedarf decken, da sie sich hauptsächlich um das Kind kümmert.
  • Ergänzender Unterhalt: Auch nach dem dritten Lebensjahr des Kindes kann die Mutter unter Umständen weiterhin Unterhalt beanspruchen, beispielsweise wenn sie aufgrund der Kinderbetreuung nicht voll erwerbstätig sein kann oder wenn besondere Umstände vorliegen.

Prozesskostenhilfe für die Vaterschaftsfeststellung

Für die Vaterschaftsfeststellungsklage könnte Prozesskostenhilfe (Verfahrenskostenhilfe) in Anspruch genommen werden.

Da das Kind selbst in der Regel kein Vermögen hat, dürfte dem Grunde nach ein Anspruch bestehen.

Allerdings wird geprüft, inwieweit die Mutter in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Vorrangige Haftung der Eltern

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist davon abhängig, dass die Eltern nicht in der Lage sind, die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Hier kommt das Einkommen und Vermögen der Mutter ins Spiel.

Wenn die Mutter über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, muss sie die Kosten des Verfahrens zunächst selbst tragen, bevor staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann.

Bedeutung für die OnlyFans-Models

Im Falle der OnlyFans-Models könnte dies bedeuten, dass ihr Einkommen und Vermögen bei der Prüfung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe berücksichtigt würde.

Insbesondere, wenn es um eine Vielzahl von Verfahren (100 oder sogar 1000) geht, könnte dies dazu führen, dass sie einen erheblichen Teil der Kosten selbst tragen müssten, bevor der Staat einspringt.

Die Gerichte würden wahrscheinlich auch prüfen, ob die Einkünfte aus OnlyFans als „Mutwilligkeit“ bei der Herbeiführung der Bedürftigkeit anzusehen sind, was den Anspruch auf Prozesskostenhilfe weiter erschweren könnte.

Fazit

Eine ungewollte Schwangerschaft nach einer Aktion wie der von Bonnie Blue und Lily Phillips aufgeworfenen, würde in Deutschland eine Reihe von rechtlichen Fragen aufwerfen.

Die Rechte des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung und auf Unterhalt stehen dabei im Vordergrund.

Die finanzielle Situation der Mutter spielt jedoch eine entscheidende Rolle bei der Frage, wer die Kosten für die Vaterschaftsfeststellung und den Unterhalt trägt.

Vorsicht bei kombinierten Ehe- und Erbverträgen: Einmal in amtlicher Verwahrung, kein Zurück?

Eheverträge, gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge – wer sich mit seiner Nachlassplanung auseinandersetzt, stolpert unweigerlich über diese Begriffe.

Doch worin unterscheiden sie sich eigentlich, und welche Konsequenzen hat es, wenn man diese Regelungen in einer einzigen Urkunde zusammenfasst?

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.01.2023, Az. 20 W 149/22) hatte einen interessanten Fall zu entscheiden, der genau diese Fragen berührt.

Was ist was? Ein kleiner Exkurs ins Familien- und Erbrecht

Ehevertrag: Ein Ehevertrag ist eine Vereinbarung zwischen Ehepartnern, die ihre güterrechtlichen Verhältnisse regelt.

Das bedeutet, dass im Falle einer Scheidung oder des Todes eines Partners festgelegt wird, wie das Vermögen aufgeteilt wird. Ohne Ehevertrag gilt der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff. BGB).

Gemeinschaftliches Testament: Ein gemeinschaftliches Testament ist eine Verfügung von Todes wegen, die von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern gemeinsam errichtet wird (§ 2265 BGB).

Darin können sie sich gegenseitig als Erben einsetzen oder Regelungen für die Zeit nach dem Tod beider Partner treffen.

Erbvertrag: Ein Erbvertrag ist – ähnlich wie ein Testament – eine Verfügung von Todes wegen. Anders als ein Testament wird ein Erbvertrag jedoch mit einer anderen Person (z.B. dem Ehepartner, einem Kind oder einem Dritten) vertraglich geschlossen (§ 2274 BGB).

Das bedeutet, dass er nur unter bestimmten Voraussetzungen widerrufen oder geändert werden kann.

Die Kombination: Praktisch, aber mit Risiken

Es liegt nahe, Ehevertrag und Erbvertrag in einer einzigen notariellen Urkunde zu kombinieren.

Dies kann Kosten sparen und die Angelegenheit übersichtlicher gestalten.

Allerdings sollte man sich der Konsequenzen bewusst sein.

Der Fall vor dem OLG Frankfurt: Kein Entkommen aus der Verwahrung?

Ein Ehepaar hatte im Jahr 2011 einen notariellen Vertrag geschlossen, der sowohl Änderungen an ihrem Ehevertrag als auch einen Erbvertrag beinhaltete.

Diese Urkunde wurde in amtliche Verwahrung gegeben.

Im Jahr 2018 errichteten die Eheleute dann ein gemeinschaftliches Testament, mit dem sie den Erbvertrag von 2011 widerriefen.

Auch dieses Testament wurde in amtliche Verwahrung gegeben.

Als die Eheleute später die Herausgabe beider Urkunden beantragten, stießen sie auf unerwartete Schwierigkeiten.

Das OLG Frankfurt entschied, dass zwar das gemeinschaftliche Testament herausgegeben werden muss, nicht jedoch der kombinierte Ehe- und Erbvertrag.

Die Begründung des Gerichts: Schutz des Ehevertrags geht vor

Das Gericht stützte seine Entscheidung auf § 2300 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift besagt, dass der gesetzliche Herausgabeanspruch nach § 2256 Abs. 2 BGB für Testamente für Erbverträge eingeschränkt ist, soweit ein Erbvertrag neben der Verfügung von Todes wegen weitere Regelungen enthält.

Das Gericht argumentierte, dass die Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit bei kombinierten Erbverträgen dem Schutz der Originalurkunde dient, die auch die ehevertraglichen Regelungen enthält. Da ein Ehevertrag typischerweise Regelungen enthält, die zu Lebzeiten maßgeblich sind, bestehe ein besonderes Interesse am Erhalt der Urkunde.

Das Gericht räumte zwar ein, dass dies einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Eheleute darstellt. Dieser Eingriff sei aber gerechtfertigt, da die Eheleute sich freiwillig dafür entschieden hätten, den kombinierten Vertrag in amtliche Verwahrung zu geben.

Was bedeutet das für Sie?

Dieser Fall zeigt, dass die Kombination von Ehe- und Erbvertrag in einer Urkunde gut überlegt sein will.

Zwar mag es praktisch erscheinen, doch birgt es die Gefahr, dass man sich später nicht mehr so einfach von den getroffenen Regelungen lösen kann.

Unsere Empfehlung: Lassen Sie sich umfassend rechtlich beraten, bevor Sie einen kombinierten Ehe- und Erbvertrag abschließen.

Wägen Sie die Vor- und Nachteile sorgfältig ab und prüfen Sie, ob eine separate Regelung von Ehevertrag und Testament/Erbvertrag nicht die bessere Lösung ist.

So behalten Sie die Flexibilität, Ihre Nachlassplanung bei Bedarf anzupassen, ohne an die einmal getroffenen ehevertraglichen Regelungen „gefesselt“ zu sein.

Haben Sie Fragen zu Eheverträgen, Testamenten oder Erbverträgen? Wir beraten Sie gerne!

Vertragsgestaltung: Warum ich das BGB liebe

Als Anwalt liebe ich die Vertragsgestaltung.

Es ist eine Chance, kreativ zu werden, Probleme zu lösen und meinen Mandanten zum Erfolg zu verhelfen.

Und das alles auf der Grundlage eines Gesetzes, das ich für eines der besten halte, das jemals geschrieben wurde: das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).

Ein Jahrhundertwerk mit Weitblick

Die Entstehungsgeschichte des BGB ist beeindruckend.

Mit fast 30 Jahren Vorlaufzeit, von den ersten Entwürfen bis zum Inkrafttreten am 1. Januar 1900, wurde hier ein Fundament für unser heutiges Zivilrecht geschaffen.

Eine solche Vorlaufzeit wäre heute schlichtweg unvorstellbar – mehr als sieben Legislaturperioden! Und noch heute sind viele Paragraphen aus dieser Zeit in Kraft.

Man erkennt diese „Urgesteine“ des BGB oft daran, dass sie kurz, prägnant und leicht verständlich sind. Denken Sie beispielsweise an die Regelungen zum Kaufrecht oder den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“.

Im Gegensatz dazu sind später eingefügte Paragraphen, oft erkennbar an angehängten Buchstaben, meist länger und komplexer. Dies liegt nicht selten daran, dass sie EU-Recht in deutsches Recht umsetzen.

Anfängliche Lücken und ihre schrittweise Füllung

Bereits kurz nach Inkrafttreten des BGB zeigte sich, dass trotz der sorgfältigen Vorbereitung wichtige Bereiche des Vertragsrechts nicht ausreichend geregelt waren. Hierzu zählten insbesondere das culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsverhandlungen) und die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (positive Vertragsverletzung).

Ein klassisches Beispiel für culpa in contrahendo ist der Fall des Salatblatts im Supermarkt: Ein Kunde rutscht auf einem Salatblatt aus und verletzt sich. Obwohl noch kein Kaufvertrag zustande gekommen ist, kann der Supermarkt unter Umständen für den Schaden haftbar gemacht werden, da er eine vorvertragliche Schutzpflicht verletzt hat.

Lange Zeit wurden diese Fälle durch Richterrecht gelöst. Doch schließlich wurden diese Grundsätze ins BGB aufgenommen und sind nun tatsächlich Gesetz.

Gestaltungsfreiheit und ihre Grenzen

Besonders schätze ich an der Vertragsgestaltung, dass das BGB den Parteien viele Freiheiten lässt.

Wo das Gesetz nicht zwingend ist, können individuelle Vereinbarungen getroffen werden, die den Bedürfnissen beider Seiten gerecht werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB).

Allerdings zeigte sich früh, dass Unternehmen und Konzerne mit ihren Rechtsabteilungen ihren Kunden (insbesondere Verbrauchern) bei der AGB-Gestaltung oft überlegen waren.

Die Rechtsprechung hat dies erkannt und im Laufe der Zeit ein umfangreiches System von Schutzmechanismen geschaffen.

Diese wurden zunächst im AGB-Gesetz zusammengefasst und später in das BGB integriert, im Bereich der Regelungen über den Vertragsschluss.

Fazit: Ein Gesetz mit Ecken und Kanten, aber von unschätzbarem Wert

Auch wenn das BGB durch die vielen Änderungen und Ergänzungen nicht mehr so übersichtlich ist wie am 1. Januar 1900, bin ich mit diesem Gesetz immer noch sehr zufrieden.

Ich finde die deutsche Regelung beispielsweise viel praktikabler als die amerikanische, die nicht auf ein geschriebenes Gesetz zurückgreifen kann und wirklich alles in Verträgen regeln muss.

Aus diesem Grund liebe ich es, bei Vertragsgestaltungen tätig zu werden. Sei es bei der Formulierung von AGBs oder von Verträgen, die für die Parteien rechtlich so wichtig sind, dass sie auf jeden Fall nicht scheitern dürfen.

Es ist eine Herausforderung, die mir Freude bereitet und bei der ich mein juristisches Know-how optimal einsetzen kann.

Nicht verheiratet, aber trotzdem Rechte? Wenn Trennung teuer wird

Viele Paare entscheiden sich heutzutage bewusst gegen die Ehe.

Der Gedanke dahinter: Keine rechtliche Bindung, mehr Freiheit, unkompliziertere Wege im Falle einer Trennung.

Doch was passiert, wenn die nichteheliche Lebensgemeinschaft endet und plötzlich finanzielle Forderungen im Raum stehen?

Können Partner nach der Trennung Ausgleichszahlungen verlangen oder gar Schenkungen zurückfordern?

Die Antwort ist leider oft ernüchternd. Anders als bei der Ehe gibt es für die nichteheliche Lebensgemeinschaft keine speziellen gesetzlichen Regelungen bezüglich des Vermögensausgleichs. Die Rechtsprechung geht hier von einem sogenannten Abrechnungsverbot aus.

Was bedeutet Abrechnungsverbot?

Das Abrechnungsverbot bedeutet, dass Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nach der Trennung grundsätzlich keine Ansprüche auf Ausgleich von Vermögensmehrungen haben, die während der Beziehung entstanden sind.

Dies gilt auch dann, wenn ein Partner während der Beziehung unentgeltlich oder gegen geringes Entgelt im Betrieb des anderen mitgearbeitet hat oder sonstige Leistungen erbracht hat, die dem anderen Partner zugutegekommen sind.

Die Gerichte begründen dies damit, dass die Partner sich bewusst gegen die Ehe entschieden haben und damit auch gegen die damit verbundenen güterrechtlichen Regelungen. Sie haben sich also bewusst für ein Leben entschieden, in dem jeder für sich selbst wirtschaftlich verantwortlich ist.

Ein korrigierender Eingriff ist laut Rechtsprechung nur dann gerechtfertigt, wenn dem Leistenden die Beibehaltung der durch die Leistung geschaffenen Vermögensverhältnisse nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist.

Auszugleichen sind damit nur solche Leistungen, denen nach den jeweiligen Verhältnissen eine besondere Bedeutung zukommt.

Der Fall der teuren Ohrringe

Ein besonders anschauliches Beispiel für die Konsequenzen des Abrechnungsverbots liefert ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG Frankfurt, Urteil vom 27.09.2023, Az. 2-25 O 127/22).

In diesem Fall hatte ein Mann seiner Partnerin während einer etwa eineinhalbjährigen Beziehung eine American Express Platinum Kreditkarte überlassen, die diese mit über 100.000 Euro belastete. Zudem hatte er ihr teure Reisen, Einkäufe bei Chanel und Diamant-Ohrringe geschenkt. Nach der Trennung forderte er von ihr gut 200.000 Euro sowie die Rückgabe der Diamant-Ohrringe.

Das Gericht wies die Klage ab. Es argumentierte, dass die Überlassung der Kreditkarte nicht als Darlehen nachgewiesen sei und ein Widerruf der Schenkungen mangels „groben Undanks“ nicht möglich sei. Ein grober Undank liege nicht schon dann vor, wenn ein Partner die nichteheliche Lebensgemeinschaft verlässt, sondern es müsse eine schwere Verfehlung des Beschenkten vorliegen, die eine mangelnde Dankbarkeit erkennen lässt.

Das Gericht berücksichtigte zudem, dass die Geschenke einem luxuriösen Lebensstil entsprangen, der für beide Parteien üblich war. Die Ausgaben seien nicht von großer finanzieller Anstrengung des Klägers oder einer Notlage der Beklagten geprägt gewesen. Es handelte sich um Konsumausgaben im Hier und Jetzt, die nicht auf die Zukunft ausgerichtet waren.

Was lernen wir daraus?

Dieses Urteil zeigt deutlich, dass man in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gut beraten ist, seine Finanzen getrennt zu halten.

Großzügige Schenkungen oder die Übernahme von hohen Ausgaben für den Partner können im Falle einer Trennung schnell zu bösen Überraschungen führen.

Es ist ratsam, sich vor Beginn einer solchen Partnerschaft über die rechtlichen Konsequenzen zu informieren und gegebenenfalls einen Vertrag aufzusetzen, der die Vermögensverhältnisse und mögliche Ausgleichsansprüche im Falle einer Trennung regelt.

Eine solche Vereinbarung kann zwar nicht alle Eventualitäten abdecken, aber sie kann zumindest für Klarheit und Rechtssicherheit sorgen.

Brauchen Sie rechtlichen Rat?

Die Gestaltung von Verträgen für nichteheliche Lebensgemeinschaften ist komplex und sollte unbedingt von einem erfahrenen Anwalt begleitet werden.

Wir beraten Sie gerne zu allen Fragen rund um das Thema nichteheliche Lebensgemeinschaft und helfen Ihnen, eine individuelle und rechtssichere Lösung zu finden.

Testierfreiheit vs. Sittenwidrigkeit: Wann ein Hausverbot im Testament ungültig ist

Die Testierfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ermöglicht es jedem, selbst zu bestimmen, wer nach dem Tod das eigene Vermögen erhalten soll.

Der Gesetzgeber räumt dem Willen des Erblassers grundsätzlich einen sehr großen Gestaltungsspielraum ein, denn nach dem Ableben kann dieser seinen Willen nicht mehr ändern oder anpassen.

Daher ist es das Ziel, diesen Willen so weit wie möglich zu respektieren und umzusetzen.

Doch diese Freiheit hat Grenzen. Eine davon ist die Sittenwidrigkeit.

Was bedeutet Sittenwidrigkeit im Erbrecht?

Die Sittenwidrigkeit ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 138 BGB) verankert.

Eine Verfügung von Todes wegen (also ein Testament oder Erbvertrag) ist sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Das bedeutet, dass die Verfügung so unerträglich unfair oder ungerecht ist, dass sie von der Rechtsordnung nicht anerkannt werden kann.

Die Hürden für die Annahme der Sittenwidrigkeit sind hoch. Gerichte greifen nur in Ausnahmefällen in die Testierfreiheit ein. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn die testamentarische Verfügung einen unzumutbaren Druck auf die Erben ausübt und diese in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich beeinträchtigt.

Der Fall: Hausverbot für den Lebensgefährten

Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Az.: 10 U 58/21) zeigt, wie die Gerichte die Testierfreiheit und die Sittenwidrigkeit gegeneinander abwägen.

In dem Fall erbte die Tochter einer Verstorbenen zusammen mit ihrer Enkelin ein Haus. Die Mutter der Klägerin hatte im Testament jedoch verfügt, dass der langjährige Lebensgefährte der Tochter das Grundstück nicht betreten darf. Dieser Lebensgefährte wohnte zwar in der Nähe, war aber in dem Haus ein- und ausgegangen, kümmerte sich um Reparaturen und war wie ein Ziehvater für die Enkelin. Es gab nie Streit oder Unstimmigkeiten. Ein Testamentsvollstrecker sollte das Hausverbot durchsetzen und bei Zuwiderhandlung das Haus verkaufen.

Tochter und Enkelin klagten gegen diese Bedingung im Testament, da sie diese für sittenwidrig hielten.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm gab den Erbinnen Recht. Das Gericht betonte zwar, dass die Testierfreiheit grundsätzlich zu respektieren ist. Im vorliegenden Fall überwiegen jedoch die Freiheitsrechte der Tochter.

Das Gericht argumentierte, dass das Hausverbot den höchstpersönlichen Lebensbereich der Tochter beeinträchtigt. Es würde das bis zum Tod der Mutter gelebte familiäre Zusammenleben unmöglich machen. Der Umstand, dass dem Lebensgefährten, der zugleich Ziehvater der Enkelin ist, der Zugang zu der zuvor gemeinsam genutzten Wohnung verwehrt werden sollte, stellt einen unzumutbaren Eingriff in die Lebensgestaltung der Tochter dar.

Daher sei die Bedingung im Testament sittenwidrig und damit nichtig. Die Tochter und Enkelin erbten das Haus ohne die Auflage, dem Lebensgefährten den Zutritt zu verwehren.

Fazit

Dieser Fall zeigt, dass die Testierfreiheit nicht grenzenlos ist. Verfügungen, die unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte der Erben eingreifen, können als sittenwidrig und damit unwirksam erklärt werden.

Es ist daher ratsam, sich bei der Gestaltung eines Testaments rechtlich beraten zu lassen, um sicherzustellen, dass der eigene Wille auch tatsächlich umgesetzt wird und nicht an der Sittenwidrigkeit scheitert.

Schulpflicht in Deutschland: Wenn Eltern sich querstellen – Ein Fall mit Konsequenzen

„Ich will nicht zur Schule!“ – Diesen Satz haben wohl die meisten Eltern schon einmal gehört.

Und ja, es gibt Kinder, die am liebsten gar nicht gehen würden.

Trotzdem ist es ein Privileg, zur Schule gehen zu können und zu dürfen.

Es wurde lange dafür gekämpft, und weltweit ist es leider noch immer nicht jedem Kind vergönnt. Hier in Deutschland haben wir die Schulpflicht, die in manchen Bundesländern sogar noch durch Lehrmittelfreiheit unterstützt wird – ein Geschenk und ein Segen!

Doch offenbar sehen dies nicht alle Eltern so. Ein aktueller Fall, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe verhandelt wurde, zeigt dies auf drastische Weise.

Der Fall: Schulverweigerung mit Folgen

Im konkreten Fall ging es um einen Schulanfänger, der im September 2021 eingeschult wurde.

Was dann folgte, ist kaum zu glauben: Der Junge besuchte bis zum Ende des Schuljahres im Sommer 2022 keinen einzigen Tag die Schule.

Die Eltern argumentierten zunächst mit den Corona-Maßnahmen, später damit, dass sich ihr Sohn durch „Freilernen im Homeschooling“ „toll“ entfalten könne.

Nachdem Gespräche mit dem Jugendamt scheiterten, wies das Familiengericht Offenburg die Eltern an, den Jungen zur Schule zu schicken. Die Eltern legten Beschwerde beim OLG Karlsruhe ein – mit weitreichenden Folgen.

Das Urteil des OLG Karlsruhe: Teilweiser Entzug des Sorgerechts

Das Oberlandesgericht verschärfte die Entscheidung der Vorinstanz sogar noch (OLG Karlsruhe, Beschluss vom Datum im Artikel nicht genannt, 5 UFH 3/22).

Im Eilverfahren entzogen die Richter den Eltern vorläufig das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren Sohn in Bezug auf den Schulbesuch und übertrugen es dem Jugendamt.

Das Gericht begründete diese Maßnahme mit einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls (§1666 BGB). Die Schulpflicht diene nicht nur dem Wissenserwerb und dem Erlernen sozialer Fähigkeiten, sondern auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinterstehenden Gemeinwohlinteressen. Die Entwicklung des Jungen und seine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft seien durch die Verweigerung des Schulbesuchs gefährdet.

Rechtliche Bewertung

Das Gericht stützte seine Entscheidung maßgeblich auf § 1666 BGB (Gefährdung des Kindeswohls).

Dieser Paragraph erlaubt es dem Familiengericht, Maßnahmen zum Schutz eines Kindes zu ergreifen, wenn dessen körperliche, geistige oder seelische Entwicklung gefährdet ist und die Eltern nicht Willens oder nicht in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden.

Hier wurde argumentiert, dass der dauerhafte Schulboykott eine solche Gefährdung darstellt.

Fazit

Der Fall zeigt deutlich: In Deutschland können bestimmte Pflichten tatsächlich auch gegen den Willen der Eltern durchgesetzt werden – und zwar notfalls mit drastischen Konsequenzen.

Das Urteil des OLG Karlsruhe macht unmissverständlich klar, dass der Staat das Wohl des Kindes in den Vordergrund stellt und notfalls auch in das elterliche Sorgerecht eingreift, um dieses Wohl zu gewährleisten.

Dieses Urteil sollte Eltern aufrütteln, die möglicherweise ähnliche Wege beschreiten. Es zeigt, dass die Schulpflicht nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf und dass der Staat bereit ist, diese auch durchzusetzen.

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