Auslandsreisen Minderjähriger: Wann entscheidet das Familiengericht?

In der familienrechtlichen Praxis stellt sich häufig die Frage, unter welchen Umständen eine familiengerichtliche Entscheidung über das Sorgerecht oder den Umgang erforderlich ist, wenn es um Auslandsreisen von minderjährigen Kindern geht.

Ein aktueller Fall des Amtsgerichts Wittenberg beleuchtet diese Problematik und zeigt die Komplexität solcher Entscheidungen auf.

Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung

Grundsätzlich müssen Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für das Kind gemeinsam treffen (§ 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Auslandsreisen, insbesondere in Länder außerhalb der EU, fallen in der Regel in diese Kategorie. Können sich die Eltern nicht einigen, kann das Familiengericht angerufen werden, um einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis zu übertragen (§ 1628 BGB).

Reisen innerhalb der EU

Reisen innerhalb des europäischen EU-Auslands sind typischerweise unproblematisch. Die einheitlichen Rechtsstandards und das hohe Sicherheitsniveau in der EU führen dazu, dass Familiengerichte hier selten eingeschaltet werden müssen, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor.

Reisen in Krisenregionen

Anders verhält es sich bei Reisen in Länder wie Russland oder andere Krisenregionen wie die Ukraine, den Libanon, Syrien oder Israel.

In solchen Fällen stellt sich für das Gericht die zentrale Frage, ob eine Reise dorthin mit dem Kindeswohl objektiv zu vereinbaren ist.

Das Kindeswohl ist gemäß § 1697a BGB der Maßstab für alle kindschaftsrechtlichen Entscheidungen.

Der Fall des AG Wittenberg

Ein aktueller Fall des Amtsgerichts Wittenberg (Beschluss vom 28.06.2023, Az.: 5a F 327/23 EASO) verdeutlicht die Abwägungen, die Gerichte in solchen Situationen vornehmen müssen.

Hier ging es um die Reise einer 15-Jährigen nach Russland in Begleitung des ehemaligen Lebensgefährten ihrer Mutter.

Der leibliche Vater verweigerte seine Zustimmung aufgrund der aktuellen politischen Lage.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, der Mutter unter bestimmten Auflagen die alleinige Entscheidungsbefugnis zu übertragen. Dabei berücksichtigte es folgende Faktoren:

  1. Die enge Beziehung des Kindes zum ehemaligen Lebensgefährten der Mutter
  2. Die Vertrautheit des Begleiters mit den Verhältnissen in Russland
  3. Die Reife und realistische Einschätzung der Situation durch das Kind selbst
  4. Die Möglichkeit, die Reiseroute anzupassen oder die Reise abzubrechen

Das Gericht legte jedoch Wert darauf, dass die Mutter sich fortlaufend über die Sicherheitslage informiert und etwaige Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes beachtet.

Fazit

Der Fall des AG Wittenberg zeigt exemplarisch, wie Familiengerichte in solchen Situationen abwägen müssen.

Sie berücksichtigen dabei nicht nur abstrakte Gefahren, sondern auch die konkreten Umstände des Einzelfalls. Letztlich geht es immer darum, eine Entscheidung zu treffen, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht, wie es § 1697a BGB vorschreibt.

Für Eltern und Rechtsanwälte in ähnlichen Fällen ist es ratsam, alle relevanten Faktoren sorgfältig zu dokumentieren und dem Gericht darzulegen, um eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Die Einzelfallbetrachtung und die Berücksichtigung aller Umstände sind entscheidend für eine dem Kindeswohl entsprechende Lösung.

Auslandsreisen Minderjähriger: Wann entscheidet das Familiengericht? was last modified: Februar 28th, 2025 by Ralf Römling

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